Amit2.0: Hoffnung ist die Mutter der Dummen

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Writer Stories versteht sich als eine dokumentarische Website von und über die Graffiti Szene. Wir distanzieren uns von jeglicher Form des Vandalismus und werden unsere Nutzer niemals dazu animieren, illegal zu handeln. Alle Geschichten wurden uns anonym zugesendet.[/funky_box]

„Scheiße – ich muss doch Morgen arbeiten“, denkt der Protagonist der vorliegenden Geschichte in dem Moment, wo ihm die niederländischen Polizeibeamten zärtlich die Hände mit Handschellen hinter dem Rücken zusammenpressen. Offensichtlich ist hier, zumindest aus Sicht des Verdächtigen, etwas gehörig schief gelaufen!

Was war geschehen?

Rückblende – Armin, damals noch in der Version 1.0, und Student (ja – Graffiti ist eigentlich eher Bildungsfern, aber Kredibilität wird im Allgemeinen und im Speziellen ziemlich überbewertet), befindet sich im niederländischen Exil, und erwartet Besuch von Freunden aus Hannover. Es ist Freitagabend, als die Vier anreisen. Im Gepäck befinden sich, neben zahlreichen Farbsprühdosen, die später noch zum Einsatz kommen sollen, und ja ohnehin den zentralen Bestandteil einer Writerstory bilden, jede Menge Urlaubsfotos aus Italien. Früher war natürlich alles besser, und so werden die zahlreichen Abbildungen bemalter Züge der zweiwöchigen Arbeitsreise im gedruckten 18 zu 13cm Format präsentiert. „Am härtesten war es, dass ich am dritten Tag nach zweieinhalb Stunden Trainmalen einen Sonnenbrand bekam“, berichtet Julian, der vergessen hatte, Sonnencreme aufzutragen.

Lange Rede kurzer Sinn – die Erlebnisse der Gäste machen Lust auf mehr! Also werden ent- und ansprechende Farbkombinationen zusammengestellt und schon geht es spätnachts noch zu dem „Secret Spot“, wo unsere verwegenen Fünf gleich mehrere Bananenzüge der Nederlandse Spoorwegen mit Malereien im Graffitilook verzieren. Der Arbeitseifer des zurückliegenden Aufenthaltes in Italien wird somit gekonnt auch in das Reich von Königin Beatrix getragen. Nach etwa zwei Stunden Malspaß, und dem Erstellen einschlägig bekannter „Possefotografien“, ist denn Feierabend.

Am nächsten Morgen macht sich die Gruppe, die nun noch Verstärkung von einem nichtsprühenden Homie bekommen hat, mit dem Auto auf den Weg nach Südholland. Zu sechst im Kleinwagen, ist es zwar etwas eng, aber auch ziemlich lustig! Ziel der Klassenreise ist ein Festival mit ansprechendem Lineup! Angesehene Vertreter der vier Elemente des HipHop sind im lieblichen Eindhoven zum Stelldichein versammelt. HipHop, das gab es früher noch, und war auch irgendwie „cool“, sagt dann in der Regel der Ü35 Sprüher zu seinen Zuhörern. Jedenfalls drehen sich auf dem Weg dorthin die Gespräche um das Writerthema Numero Uno, das WRITEN! Alle haben schon wieder Bock, darum wird eine Karte bemüht und jeder Ort an dem „was stehen“ könnte, angesteuert.

[funky_quote align=“left | right“]Bescheidenheit ist der Anfang aller Vernunft![/funky_quote]

Hier beginnt nun die eigentliche Geschichte. Für Sie, sehr geehrter Leser, ist jetzt der richtige Zeitpunkt um sich noch einmal zurückzulehnen, aus dem Fenster zu schauen oder ein Erfrischungsgetränk einzunehmen – denn nun wird es turbulent. Zielsicher steuert Tobi den Wagen zum Bahnhof der mittelgroßen Stadt. Dort sind tatsächlich, in augenscheinlich günstiger Position, Reisezugwagen abgestellt worden. Es ist noch hell, darum bleibt ausreichend Zeit einige niederländische Delikatessen zu kosten. An der „besten Imbissbude“ am Platz wird von der reichhaltigen Auswahl an Kartoffelprodukten Gebrauch gemacht. Nach dem Festmahl, und mit beginnender Dämmerung (es ist Herbst), sehen sich Julian und Wolfgang das Ganze einmal aus der Nähe an. Die Anderen stellen derweil das Fahrzeug an einer unauffälligen Stelle ab. Dort trifft man sich wieder, und die Vorhut hat Gelegenheit Bericht zu erstatten: „Sieht gut aus, 20min sind locker drin“, heißt es.

Nach kurzer Vorbereitung schreiten die „Täter“ dann energisch zur obligatorischen „Tat“. Freund Ratze-Rudi wird im Kfz zurückgelassen. Sein Arbeitsauftrag: Machen was er am besten kann, Ratzen (Synonym der dargestellten Kleingruppe für schlafen)! Am Spot, der sich etwa 100m von Bahnhof befindet, stehen mehrere Einheiten auf drei bis vier Reihen verteilt. Spontan nehmen die urbanen Künstler Aufstellung an dem mutmaßlich bestgeeigneten Schienenfahrzeug. Armin malt ganz rechts, das ist die am weitesten vom Bahnhof entfernte Stelle. Es handelt sich hierbei um Zufall, soll aber nur weniger später spielentscheidend werden. Im Rücken ist ein Gleis frei, dahinter steht wieder ein Zugverband. Unverzüglich beginnt dann mit dem Vorziehen, wobei unser Held schon nach fünf Minuten feststellen muss, dass er heute (wieder) nicht sein bestes Bild malen wird. Aber für dringende notwendige Korrekturen der Proportionen fehlt die Zeit, wahrscheinlich auch einiges an Skills. Allerdings soll sich schnell herausstellen, dass an diesem Abend im November 2002 ganz andere Qualitäten notwendig sein werden. Links von Armin sprüht Julian, der bemerkt nach etwa 10 Minuten Geräusche vom Parkplatz auf der anderen Seite des Zuges. Nachdem er unter dem Wagon in die entsprechende Richtung gesehen hat, ertönt auch schon das Kommando: „Bullen, weg!!!“

Die angekündigten Staatsbeamten stehen allerdings schon wenige Sekunden später in der Reihe, um energisch zum Ausdruck zu bringen, dass sie mit der Dekoration der Zuggarnitur nicht einverstanden sind. Außerdem fordern sie unsere Freunde dazu auf, stehen zu bleiben, um sich im Anschluss hieran einer entsprechenden Behandlung zuführen zu lassen. Armin kann das inhaltlich verstehen, denn er spricht ein wenig Holländisch. Die anderen Vier nicht, was der Grund dafür sein dürfte, dass sie sich unter Zweckentfremdung der mit Dosen gefüllten Jutebeutel zu Schlagwaffen an den zahlreich angetretenen Polizisten vorbei kämpfen.

Zwischen diesem kleinen Aufstand und Armin liegt immerhin die Länge von anderthalb Wagons, darum bleibt ihm Zeit sich unauffällig in die entgegengesetzte Richtung abzusetzen. Beim Kurzsprint über 10-15 Gleisstränge wirft er schnell alle Malutensilien von sich und verändert sein Styling, indem die Jacke wieder von links auf „Normalmodus“ gewechselt wird. Unter dem erheblichem Einfluss von Endorphin und ziemlich außer Atem gelang er zügig auf die andere Seite des Bahngeländes. Dort befindet sich nur unglücklicherweise ein ziemlich hoher, mit Stacheln bewehrter Zaun im Wege, hier ist kein Durchkommen! Doch überraschenderweise steht nur 30m weiter links eine Tür auf – was ein Glück! Schnell durchgehuscht und schon kann Armin entkommen, wenn nicht….

Genau! Denn in dem Moment, wo er das mehr als trügerische Tor zur Freiheit passiert hat, um von dort sein Flucht über ein sehr gut ausgeleuchtetem Rasenstück fortzusetzen, fahren von links und rechts Einsatzwagen (in Deutschland würde man Sixpacks sagen) vor. Reifen quietschen, Türen werden aufgerissen, Kommandos geschrieen und der Verdächtige, der keine Chance hat zu entkommen, wird festgenommen. „Scheiße- ich muss doch Morgen arbeiten“ geht ihm hier also durch den Kopf, während er in Nullkommanichts und ganz sanft in eines der Fahrzeuge geleitet wird. Die Würfel sind gefallen, alea iacta est, wie wir Intellektuellen sagen. Das gibt eine Abmahnung und wird teuer!

Wer kämpft, kann verlieren. wer nicht kämpft, hat schon verloren!

Noch immer außer Atem greift unser tragischer Held nach dem letzen Strohhalm. Es beginnt ein ziemlich erbärmliches Schauspiel, dass sich noch unter GZSZ Niveau bewegen dürfte. Gespielt entrüstet und auf Englisch wirft Armin dem Beamten entgegen dass er „a german“ sei. Auch erkundigt er sich ganz unschuldig danach, „what the fuck is going on here?“. Nachdem Armin seinen Ausweis vorgelegt hat, erklärt ihm der Beamte den Sachverhalt und die gegen den Verdächtigen erhobenen Vorwürfe. Armin entgegnet hierauf, dass er in Holland wohne, und sich doch nur am Bahnhof mit seinen Freunden aus Deutschland treffen wollte. Diese hätten sich verspätet, weshalb er, auch „to take a leak“, einen Abstecher über die Abstellanlage unternommen habe. Dass dies verboten sei, ist Armin nicht bewusst, tut ihm nun aber natürlich leid.

Während sich im Inneren des Dienstfahrzeuges ein Laienschauspiel unterster Kajüte abspielt, befinden sich die vier anderen verhinderten Künstler weiterhin auf der Flucht vor den Kollegen des Armin verhörenden Beamten. Über Funk wird dem Mittfünfziger mitgeteilt, dass die Täter in der Nähe irgendeiner Schule gesichtet wurden. Der Wachtmeister sieht Armin noch einmal ganz tief in die Augen. Armin bemüht sich hierbei, so unschuldig wie ein aufgescheuchtes Reh aus der Wäsche zu schauen, was ihm wohl ganz gut gelingt, denn der Menschenfreund auf der anderen Seite des vergitterten Wagens ist nun von der Richtigkeit der Angaben überzeugt. Ohne die Daten vom Ausweis zu notieren, werden die Handschellen abgenommen, und sich in aller Form entschuldigt. Ehe er sich versieht, steht Armin wieder auf der Strasse, während die niederländische Antwort auf Horst Schimanski und sein Kollege sich klar zum Einsatz an besagter Schule machen. Armin steht wohl ziemlich verdutzt in der Gegend rum, und sieht dabei auch hilflos aus. Denn sein uniformierter Freund kurbelt noch einmal das Fenster runter. Er bietet freundlich an, zusammen zum Bahnhof zu fahren, was eh auf dem Weg läge. Dieses Angebot lehnt der Unschuldige, dessen Jacke eigentlich auch noch deutlich wahrnehmbar nach Aerosol riecht, jedoch ganz selbstlos mit dem Hinweis ab, dass die Beamten jetzt ja wohl wichtigeres zutun hätten und darum keine Zeit verlieren dürften, um die Schmierer zu fassen!

Fassungslos ob der Ereignisse der letzten 15 Minuten steht Armin dann da. Nachdem er sich überzeugen konnte, dass ihm niemand folgt, geht er zurück zum Auto. Hier befindet sich außer dem schlafenden Ratze-Rudi allerdings niemand. Ratze-Rudi ist von den jüngsten Ereignissen über die ihm dann berichtet wird, dermaßen aufgewühlt, dass er erst einmal die vor noch nicht einmal einer Stunde verspeisten Pommes erbrechen muss.Nach diesem ausfüllendem Vorgang warten beide dann auf die Komplizen, die im Verlaufe der nächsten Stunden auch eintreffen. Jeder erzählt seine Geschichte, knapp war es für alle! Nur Julian fehlt, auch morgens ist er noch nicht zurück.

Wie sich später herausstellt, war es ihm auch in den insgesamt drei Tagen seiner Untersuchungshaft nicht gelungen, die Polizisten davon zu überzeugen, dass er sich nur unter einem in Nähe des Bahnhofes abgestellten Peugeots 306 aufhielt, weil er aus Deutschland sei, und Deutsche in ihrer Freizeit eben gerne unter Autos Rumliegen…

Autor: Amit

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